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Jahr 1 - Das Geschenk

Jahr 1 - Das Geschenk

Jahr 1

Ein gleichmäßiges Plätschern macht mich wach. Ein Blick durch die große Fensterfront in unserem Schlafzimmer genügt: es regnet. Ich liebe dieses Geräusch. Es ist noch ganz früh und ich beobachte vom Bett aus die ersten Tiere, die am Haus vorbeihuschen. Merkwürdig… heute fühle ich mich irgendwie anders; super wie immer, aber irgendetwas ist neu. Statt in meinen Körper sorgenvoll hineinzuhorchen, lege ich diesen Gedanken sofort beiseite. Ich weiß ja, dass ich völlig gesund bin. Das ist für mich immer noch eine Erleichterung. Ob ich da in 10 Jahren überhaupt noch drüber nachdenke? Es ist jetzt ein Jahr her und ich fühle mich meist so, als wäre ich schon immer im Paradies gewesen. Viele meiner Erinnerungen an die alte Welt sind verblasst; wie im Nebel. Ich kann sie nur noch ganz trüb erkennen. Zumindest belasten sie mich nicht mehr…

Ruppert schläft noch neben mir: er sieht ganz friedlich aus: Schlafschön wie immer. Das war schon in der alten Welt so. Darum habe ich ihn immer beneidet. Wie kann man im Schlaf so gut aussehen? Ich habe so oft damals meinen Kiefer verkrampft und die Arme verdreht. Das gehört jedoch der Vergangenheit an. Ich freue mich für Ruppert, dass er endlich die unruhigen Beine los ist. Albträume hat er auch nicht mehr.  Was für ein Segen!

Ich setze mich auf und husche auf Zehenspitzen in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Allein der Geschmack des Wassers ist etwas Besonderes. Das hätte ich nie für möglich gehalten wie lecker Wasser sein kann. Man schmeckt förmlich die Reinheit und fühlt sich gleichzeitig erfrischt. Ein kleiner Schwindel fährt durch meinen Körper. Was ist denn das? Ich komme wieder auf meinen Gedanken von eben zurück:Irgendetwas ist anders. Unbewusst lege ich die Hand auf meinen Bauch und dann bin ich mir sicher: Ich bin schwanger. Woher ich das weiß, kann ich nicht sagen! Ich weiß es einfach!

Ich bin schon dabei ins Schlafzimmer zu stürmen, um Ruppert zu wecken, doch dann stoppe ich abrupt. Zunächst möchte ich mich bei Jehova bedanken. Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet… Dass nun mein Traum, nein unser Traum, in Erfüllung geht, kann ich kaum glauben.

Nein, ich wecke ihn noch nicht. Ich überlege mir eine Überraschung für ihn. Hmmm, wie kann ich ihm diese freudige Nachricht am besten erzählen? 

Zum Brainstorming lege ich mich in meinen allerliebsten Gartenstuhl. Er steht draußen auf der Terrasse und ist aus ganz besonderem Holz gearbeitet. So lange habe ich an dem herumgewerkelt… doch dann ist er richtig gut geworden. Ich klappe ihn aus und mache eine Liege daraus. Die Kissen sind total bequem und ich nehme mir noch die Wolldecke mit, die Mama mir gestrickt hat. Kalt ist es eigentlich nicht, so ist es jedoch gemütlicher.

 

Ich bin aufgeregt und glücklich. Wie sage ich es ihm nur? Ich könnte den Frühstücktisch decken. Ruppi liebt gekochte Eier. Genau: ich mache vorher ein kleines Loch in ein rohes Ei, lasse die Flüssigkeit herauslaufen und stopfe einen Zettel hinein; ähnlich wie eine Flaschenpost: eine Ei-Message sozusagen. Ha, da muss ich lachen. Ein Wortwitz. Das erinnert mich an ein furchtbar mächtiges Unternehmen aus der alten Welt.

Nee, ich mache `was Anderes. Wobei es schon witzig wäre… Ist mir aber nicht romantisch genug…

Ich könnte ein Paar klitzekleiner Schuhe zu unseren Schuhen im Flur dazustellen… Ob er die bemerkt? Nein, das kann Tage dauern, bis ihm das auffällt. Was gibt es noch?

Ein Blick auf den Rasen und mir kommt eine neue Idee: Ich mähe einen Schriftzug hinein: „Du wirst Papa“. Dann bitte ich ihn auf den Balkon und er kann es direkt lesen.

Naja, so dolle ist das auch nicht….

Oder ich plane einen Bootsausflug. Dann nehme ich einen selbstgebackenen Kuchen mit, auf dem aus Marzipan draufsteht, dass er Papa wird. Das würde ihm gefallen. Plötzlich höre ich ein Knattern und Schnattern. Es ist Emma. Emma ist meine Freundin, ein Delphin! Ich laufe zum Strand und sehe sie. Jetzt weiß ich, was ich mache…

 

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit frischen Erdbeeren und Pancakes mit reichlich Ahornsirup schlage ich Ruppert einen Schnorchelausflug vor. Er stimmt freudig zu und wir gehen Hand in Hand zum Strand.

„Du strahlst heute so, mein Schatz!“, sagt er.

„Tue ich das nicht immer?“, antworte ich mit einem Augenzwinkern.

„Natürlich!“, beteuert er. „Heute nur ganz besonders!“

Wir springen beide in das türkise Wasser und erkunden Muscheln, bestaunen die Tiere. Ich bin schon ganz aufgeregt. Wo bleibt sie denn?
Ah, jetzt sehe ich sie. Emma kommt mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf uns zu und macht wieder Faxen. Sie grient uns an und winkt mit ihrer Flosse. Ich gebe ihr ein Zeichen, so wie wir es vorhin geübt haben. Sie stupst Ruppert an. „Ich glaube, sie will dir etwas zeigen!“, erkläre ich ihm ihre Gesten.

Ruppert nickt und hält sich an ihrer Flosse fest. Sie schwimmt mit ihm in die Tiefe und ich tauche hinterher.
Er zeigt ganz aufgeregt auf einen Gegenstand am Meeresgrund. Ich tue ahnungslos, mein Plan funktioniert. Er taucht weiter hinunter und Emma kreist um den Gegenstand herum. Ruppert greift sich voller Entdeckergeist die kleine goldene Schatzkiste. Seine Augen leuchten. Jetzt tut er mir schon wieder leid. Statt eines Piratenschatzes wird er „nur“ eine besondere Nachricht in der Truhe finden. Emma zieht uns an die Oberfläche und wir gehen an Land zurück.

 

„Da ist ein Schloss dran. Ich kriege die Kiste nicht auf!“, sagt er und sucht bereits einen großen Stein, um das Schloss aufzuhauen.

„Gibst du schon auf? Gewalt ist keine Lösung“, antworte ich altklug und pfeife. Bob kommt um die Ecke. Er gähnt noch etwas und lässt sich von Ruppert streicheln. Bob ist Rupperts Freund, so wie Emma meine Freundin ist. Bob ist allerdings ein eleganter, schwarzer Panther.

„Guck mal! Er trägt eine Schriftrolle um den Hals. Warst du das?“, fragt er mich. Ich zucke nur mit den Achseln und tue ahnungslos.

Ruppert nimmt Bob die Kette mit der Papierrolle ab und öffnet sie.

„Da steht nur ‚Psalm 145:16‘ drauf. Ich weiß nicht, was da steht.“

„Wie? Du kannst die alte Bibel immer noch nicht auswendig???“ Ich schüttele demonstrativ den Kopf.

„Haha…. Ist das das Passwort? Auf dem Schloss sind Zahlen und Buchstaben. Das könnte passen!“, sagt er aufgeregt.

 

Er dreht am Schloss und gibt „Psalm 145:16“ ein. Es macht klick und die Truhe öffnet sich. Es liegt nur ein Zettel darin mit dem Text aus Psalm 145:16. Ruppert liest laut vor:
„‘Du öffnest deine Hand und stillst das Verlangen alles Lebenden.‘ Herzlichen Glückwunsch mein Schatz! Du wirst Papa!“

Ruppert kann den Satz kaum laut zuende lesen. Ihm kommen schon die Tränen vor Glück und ich weine auch. Er nimmt mich jubelnd in seine Arme, hebt mich an und dreht sich voller Freude mit mir im Kreis! Bob brüllt und knurrt, aber das ist ein Ausdruck seiner Freude. Emma schnattert wieder ganz aufgeregt. Sie scheint sich auch mit uns zu freuen.

 

Wir verbringen noch einen wunderschönen Tag am Strand und liegen abends eingekuschelt auf einer großen Doppelliege am Lagerfeuer. Der Sonnenuntergang ist atemberaubend. Wir danken Jehova und freuen uns auf morgen. Schließlich können wir es kaum erwarten, der Familie und unseren Freunden von diesem wundervollen Geschenk Jehovas zu berichten…

 

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